Im Urteil 6B_216/2020 vom 1. November 2021 hat das Bundesgericht die Verurteilung eines Vermögensverwalters wegen verbotener Handlungen für einen fremden Staat bestätigt. Der Beschuldigte hatte im Rahmen des Steuerstreits eigenhändig Kunden-daten in die USA verbracht und den dortigen Behörden übergeben. In Bezug auf die für internationale Unternehmen wichtige Frage, unter welchen Umständen Daten aus der Schweiz für Verfahren im Ausland verwendet werden können, schafft dieses neue Leiturteil zu Art. 271 StGB jedoch nicht die notwendige Klarheit.

Hintergrund und Sachverhalt

Im Zuge des Steuerstreits zwischen der Schweiz und den USA hatte eine schweizerische Vermögensverwaltungsgesellschaft mit Tochtergesellschaften auf den Cayman Islands und in Liechtenstein gewisse Kundenbeziehungen prüfen lassen. Dabei wurde festgestellt, dass sich gewisse Kunden in Bezug auf ihre steuerlichen Verpflichtungen gegenüber den USA eventuell nicht regelkonform verhalten hatten.

Der Verwaltungsratspräsident der Vermögensverwaltungsgesellschaft hatte daraufhin beim amerikanischen Justizdepartement (DOJ) eine Selbstanzeige eingereicht. Das DOJ lehnte das Gesuch, die Herausgabe von Kundendossiers auf dem Rechts- und Amtshilfeweg zu erlangen, ab. Im Hinblick auf den Abschluss eines sog. Non Prosecution Agreement reiste der Verwaltungsratspräsident daraufhin mit einem USB-Stick mit insgesamt 109 Kundendossiers der Vermögensverwaltungsgesellschaft sowie deren ausländischer Tochtergesellschaften in die USA und liess diese dem DOJ übergeben.

Gestützt auf eine Anzeige der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) wurde der Verwaltungsratspräsident von der Bundesanwaltschaft wegen verbotener Handlungen für einen fremden Staat gemäss Art. 271 Ziff. 1 Abs. 1 StGB angeklagt. Nachdem ein erstinstanzlicher Freispruch durch das Bundesgericht mit Urteil 6B_804/2018 vom 4. Dezember 2018 aufgehoben worden war, wurde der Verwaltungsratspräsident vom Bundesstrafgericht zu einer Busse von CHF 10'000 verurteilt. Dieses Urteil wurde von der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts bestätigt, woraufhin der Beschuldigte an das Bundesgericht gelangte. Mit Entscheid vom 1. November 2021 hat das Bundesgericht die Beschwerde abgewiesen und damit die Verurteilung letztinstanzlich bestätigt.

Zur Strafbarkeit nach Art. 271 Ziff. 1 StGB

Gemäss Art. 271 Ziff. 1 StGB wird bestraft, wer auf schweizerischem Gebiet ohne Bewilligung für einen fremden Staat Handlungen vornimmt, die einer Behörde oder einem Beamten zukommen, oder wer solchen Handlungen Vorschub leistet. Die Bestimmung soll die Ausübung fremder Staatsgewalt in der Schweiz verhindern und sowohl das staatliche Machtmonopol als auch die schweizerische Souveränität schützen. Das Verbot von Handlungen für einen fremden Staat wurde 1935 im Rahmen des sog. Spitzelgesetzes zur Verhinderung von ausländischer Spionagetätigkeit erlassen und später in das StGB überführt.

Strafbar im Sinne von Art. 271 Ziff. 1 StGB sind Handlungen, die gemäss schweizerischer Rechtsauffassung nach ihrem Wesen und Zweck als Amtstätigkeit zu charakterisieren sind. Das gilt unabhängig davon, ob tatsächlich eine (ausländische) Behörde oder ein Beamter tätig wurde. Immerhin muss die Handlung im Interesse eines fremden Staates erfolgen. Zudem ist erforderlich, dass die strafbaren Handlungen auf dem Gebiet der Schweiz stattgefunden haben, wobei es genügt, wenn dies teilweise zutrifft.

Erwägungen des Bundesgerichts

Vor Bundesgericht war vorliegend unbestritten, dass die Übergabe der Kundendossiers an das DOJ im Interesse der USA und damit für einen fremden Staat erfolgt war. Ebenfalls unstrittig war, dass die Handlungen auf schweizerischem Gebiet ihren Anfang nahmen und keine Bewilligung der zuständigen Behörden vorlag. Das Bundesgericht prüfte daher in erster Linie, ob die Übergabe der Kundendossiers an das DOJ als verbotene "Amtshandlung" qualifiziert werden kann. Dies bestimmt sich gemäss Bundesgericht danach, ob die betreffende Handlung geeignet ist, die "staatliche Herrschaftssphäre" der schweizerischen Behörden zu gefährden. Eine Handlung, die mit einer Verletzung oder Umgehung des schweizerischen oder internationalen Amts- und Rechtshilferechts einhergeht bzw. die nach den entsprechenden Bestimmungen in der Zuständigkeit einer schweizerischen Behörde liegt, erfüllt diese Voraussetzung.

Direktübermittlung von Daten, über die nicht frei verfügt werden kann

Als strafbewehrt im Sinne von Art. 271 Ziff. 1 StGB erachtet das Bundesgericht die Herausgabe von Informationen und Unterlagen, die in der Schweiz lediglich auf hoheitliche Anordnung hin rechtmässig herausgegeben werden können. Daher dürfen "[i]n sämtlichen Konstellationen nur Akten und Informationen herausgegeben werden, über die frei verfügt werden kann." Dies ist nach Ansicht des Bundesgerichts bei nicht öffentlich zugänglichen, identifizierbaren Informationen über Dritte nicht der Fall. Nur der Amts- oder Rechtshilfeweg biete ein prozessuales Gefäss, in welchem Geheimhaltungs- und Offenlegungs-pflichten einander gegenübergestellt und der Spezialitätsgrundsatz gewährleistet werden könne.

Im vorliegenden Fall war erstellt, dass die streitgegenständlichen Bankunterlagen der Vermögensverwaltungsgesellschaft originär in der Schweiz zur Verfügung gestellt und unter klaren Vertragsbedingungen anvertraut worden waren. Der Verwaltungsratspräsident war daher nach höchstrichterlicher Auffassung nicht berechtigt, diese Drittpersonen betreffende Unterlagen direkt an das DOJ zu übermitteln. Vielmehr hätte das DOJ den Amts- bzw. Rechtshilfeweg beschreiten und die Informationen über die zuständigen Schweizer Behörden von der Vermögensverwaltungsgesellschaft herausverlangen müssen. Die direkte Übermittlung an das DOJ in Umgehung des Amts- bzw. Rechtshilfewegs qualifiziert daher als eine gemäss Art. 271 Ziff. 1 verbotene Handlung für einen fremden Staat.

Die parallele Belegenheit der Daten in einem Drittland schliesst die Strafbarkeit nicht aus

Nach Auffassung des Bundesgerichts entfällt die Strafbarkeit im vorliegenden Fall auch nicht dadurch, dass sich die vom Beschuldigten an das DOJ übermittelten Daten im Tatzeitpunkt zumindest teilweise bereits bestimmungsgemäss in einem Drittland befanden. Da Art. 271 Ziff. 1 StGB u.a. die Wahrung des staatlichen Machtmonopols bezweckt, sei vielmehr entscheidend, dass sich diese Daten zumindest auch in der Schweiz befanden und der Beschuldigte die Reise zur Übermittlung dieser Daten von der Schweiz aus antrat. Die aus der Schweiz stammenden Daten hätten daher nach höchstrichterlicher Ansicht nur unter Einhaltung des Amts-bzw. Rechtshilferechts von der Schweiz aus weitergegeben werden dürfen. Der Beschuldigte verletzte daher die Souveränität der Schweiz.

Ob es möglich bzw. zulässig gewesen wäre, die sich in einem Drittstaat befindenden Daten von dort aus an das DOJ zu übermitteln, erachtete das Bundesgericht entsprechend als nicht relevant. Die in der Lehre vertretene Auffassung, wonach bereits im Ausland belegene Daten für ein ausländisches Verfahren schrankenlos zur Verfügung gestellt werden können, findet nach Auffassung des Bundesgerichts nur dann Anwendung, wenn sich solche Daten bereits in dem ausländischen Staat befinden, in dem das betreffende Verfahren geführt wird, nicht jedoch für Daten, die in einem Drittstaat belegen sind. Immerhin lässt das Urteil offen, ob Art. 271 Ziff. 1 StGB überhaupt zur Anwendung gelangt, wenn im Rahmen einer konkreten Beweiserhebung im Ausland auf solche bereits in einem Drittstaat vorhandenen Daten zugegriffen wird.

Relevanz für die Praxis

Art. 271 Ziff. 1 StGB ist seit langem Gegenstand von Kontroversen und Quelle von Rechtsunsicherheit. Diese trifft jedoch nicht ausländische Agenten, zu deren Abwehr die Bestimmung einst konzipiert worden war. Vielmehr setzt Art. 271 Ziff. 1 StGB heute in erster Linie die für international tätige Unternehmen handelnden Personen in der Schweiz einem strafrechtlichen Risiko aus, wenn sie im Zusammenhang mit einem Verfahren im Ausland Dokumente und Daten aus der Schweiz verwenden wollen oder müssen. Dabei sind die zu beurteilenden Sachverhalte selten eindeutig. Es ist daher bedauerlich, dass das Bundesgericht vorliegend nicht die Gelegenheit genutzt hat, dem mittlerweile stark verschwommenen Anwendungsbereich von Art. 271 Ziff. 1 StGB klarere Konturen zu verleihen. Die teilweise sehr allgemein gehaltenen Erwägungen im neuen Leiturteil tragen jedenfalls nicht zu einer erhöhten Rechtssicherheit bei.

So hält das Bundesgericht etwa kategorisch fest, "in sämtlichen Konstellationen" dürften nur Informationen herausgegeben werden, über die eine Person frei verfügen kann, was auf nicht öffentlich zugängliche, identifizierende Informationen über Dritte nicht zutreffe. Zumindest in ihrer Absolutheit übersieht diese Erwägung, dass es z.B. im Rahmen eines Zivilverfahrens zur Interessewahrung durchaus erforderlich sein kann, dem Gericht Daten vorzulegen, über welche eine Partei nicht frei verfügen kann. Dies entspricht in (Zivil-) Verfahren in der Schweiz der gängigen Praxis. Weshalb der gleiche Vorgang als Handlung für einen fremden Staat strafbar sein soll, wenn eine Verfahrenspartei solche Daten in einem ausländischen (Zivil-) Verfahren einreicht, überzeugt nicht. Es wäre daher zu begrüssen gewesen, wenn das Bundesgericht seine Erwägungen stärker auf den konkreten Fall bezogen und nicht kategorisch formuliert hätte.

Das Gleiche gilt für die höchstrichterlichen Ausführungen, wonach der Umstand, dass Daten bereits bestimmungsgemäss in einem Drittstaat gespeichert sind, nichts an der Strafbarkeit einer Herausgabe dieser Daten aus der Schweiz an einen (anderen) ausländischen Staat ändere. Für den konkret beurteilten Sachverhalt scheint diese Schlussfolgerung zwar nachvollziehbar. Es wäre dafür jedoch keineswegs zwingend gewesen, nur Daten vom Anwendungsbereich von Art. 271 Ziff. 1 StGB auszunehmen, die sich bereits in dem Staat befinden, in welchem das Verfahren hängig ist. Damit weckt das Bundesgericht unnötig Zweifel an der in Literatur und Beratungspraxis etablierten Faustregel, wonach die Verwendung von bereits (irgendwo) im Ausland vorhandenen (und nicht bloss zur Umgehung ins Ausland verbrachten) Daten die Souveränität bzw. Art. 271 Ziff. 1 StGB nicht tangiert.

Das vorliegende Leiturteil vermag die bestehenden Rechtsunsicherheiten bei der Übermittlung von nicht öffentlichen Informationen an ausländische Behörden daher nicht zu reduzieren. Konkretere Leitlinien ergeben sich jedoch teilweise aus der Spezialgesetzgebung, welche eine solche Übermittlung unter gewissen Voraussetzungen zulässt und damit vom Anwendungsbereich von Art. 271 Ziff. 1 StGB ausnimmt. Dazu gehören Art. 42c FINMAG und das diesbezügliche, im Jahr 2021 überarbeitete Rundschreiben 2017/6 der FINMA, welche die Übermittlung von gewissen Information an ausländische Aufsichtsbehörden zulassen, sofern die Rechte von Kunden und Mitarbeitern gewahrt bleiben. Soweit keine Spezialregelung anwendbar ist und der Rechts- oder Amtshilfeweg nicht zur Verfügung steht, besteht zudem die Möglichkeit, beim zuständigen Departement des Bundes eine Ausnahmebewilligung zu beantragen, die eine Strafbarkeit zumindest praktisch ausschliesst. In der Praxis werden solche Gesuche in der Regel pragmatisch und wenn nötig kurzfristig behandelt.

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