Dürfen Arbeitgeber ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter per Videokamera lückenlos, dauerhaft und detailliert überwachen und wo sind die Grenzen der Videoüberwachung?

Das Thema Videoüberwachung am Arbeitsplatz ist ein Dauerbrenner in der arbeitsrechtlichen Beratung und führt immer wieder zu Diskussionen.

Befürworter argumentieren mit den Vorteilen der Beweissicherung oder dem frühzeitigen Erkennen von Straftaten. Demgegenüber steht die Angst vor der Verletzung der Privat- oder sogar Intimsphäre von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Die immer wiederkehrende Frage jedoch lautet: Wann dürfen Arbeitgeber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter per Videokamera überwachen und wo sind die Grenzen der Videoüberwachung?

Mit einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 09. März 2021 – 1 BV 10/20, juris) hat sich das Arbeitsgericht Hamm mit der datenschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeit einer Videoüberwachung im Innenbereich eines Logistikzentrums auseinandergesetzt.

In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit wollte die Arbeitgeberin, die ein Logistikzentrum für Waren aus dem Sortiment „Food-Trocken“ und „Tiefkühl“ betreibt zur Prävention von Straftaten wie Diebstahl- und Sachbeschädigungsdelikten, sowie zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten eine Videoanlage u.a. zur Überwachung von „kritischen Warenbereichen“ wie Süßwaren, Spirituosen mit vergleichsweise hohem Wert, Drogerieartikel oder Brühwürstchen-Sortiment installieren.

Die Arbeitgeberin argumentierte vor Gericht, dass diese soeben genannten „kritischen Warengruppen“ via Video beobachtet werden sollen, da diese unbemerkt in der Kleidung fortgetragen werden können. Diese Warenbereiche befänden sich in 17 von 46 Regalgängen des Trockensortiments. Vorgesehen seien in diesem Bereich 62 Kameras, die mit wechselseitigem Blick zueinander angebracht würden, um tote Winkel zu vermeiden.

Ausweislich der Angaben der Arbeitgeberin kam es in dem Zeitraum von Februar 2018 bis Juni 2019 im Bereich Spirituosen zu Diebstählen mit einem Wert von über 50.000,00 EUR und im Bereich Drogerieartikeln zu Diebstählen mit einem Wert von 8.000,00 EUR. Daher sei die Installation der Kameras nach Ansicht der Arbeitgeberin erforderlich und angemessen.

Die Argumentation der Arbeitgeberin teilte das Arbeitsgericht Hamm nicht und hat die Videoüberwachung im konkreten Falls als unwirksam eingestuft. Insbesondere kommt das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, die Videoüberwachung sei nicht verhältnismäßig.

Von seinem Zweck her soll die Videoüberwachung zwar einen angemessenen Schutz für das Eigentum der Arbeitgeberin und ihrer Kunden bieten, was rechtlich grundsätzlich schützenswert ist. Zur Erreichung dieses Zwecks stellt eine Videoüberwachungskamera nach Ansicht der Kammer ein grundsätzlich geeignetes Mittel dar, um ggf. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen von der Begehung von Straftaten abzuhalten sowie eventuelle Täter ausfindig zu machen.

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Hamm sei die Videoüberwachung – wie sie von der Arbeitgeberin im vorliegenden Fall geplant sei – jedoch nicht angemessen.

Nach der Rechtsprechung des BAG ist eine Regelung angemessen, wenn sie als im engeren Sinn verhältnismäßig erscheint. Um das festzustellen, bedarf es einer Gesamtabwägung der Intensität des Eingriffs und des Gewichts der ihn rechtfertigenden Gründe. Diese Abwägung kann nicht abstrakt vorgenommen werden. Es gehen weder das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum oder das durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Persönlichkeitsrecht vor; maßgeblich sind vielmehr die Gesamtumstände (vgl. BAG, Beschluss vom 29.06.2004 – 1 ABR 21/03).

Zur Begründung, warum die Videoüberwachung nicht angemessen sei, führt das Arbeitsgericht Hamm aus, dass die Arbeitgeberin nicht hinreichend dargelegt habe, dass bei allen im zu überwachenden Bereich gelagerten Waren von einer erhöhten Diebstahlsgefahr auszugehen sei.

Wörtlich führt das Arbeitsgericht wie folgt aus (vgl. Rn 23):

Geht man – mit dem Vortrag der Arbeitgeberin – davon aus, dass der Bereich Spirituosen zu den „kritischen“ und damit diebstahlanfälligen Waren gehört und verursachen hier bereits wenige Diebstähle einen unverhältnismäßig hohen Schaden, so kann den Ausführungen der Arbeitgeberseite nicht entnommen werden, dass überhaupt ein erheblicher Schaden im Bereich Süßwaren und Brühwürstchen eintritt. Ausführungen zu einem hier entstandenen oder befürchteten Schaden liegen nicht vor; sind auch im Ansatz der Höhe nach nicht dargetan.“

  Überdies soll die Videoüberwachung vollschichtig sowie auch anlasslos erfolgen, mit der Folge, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich in diesem Bereich bewegen, unter permanenter Überwachung stehen. Sie müssen sich bei jeder ihrer Bewegung kontrolliert fühlen. Verdachtsunabhängig ausgestaltet stellt die vollschichtige Überwachung einen unangemessenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dar.

  Fazit:

Insgesamt veranschaulicht die Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamm, dass die Videoüberwachung am Arbeitsplatz eine der eingriffsintensivsten Formen der Mitarbeiterüberwachung darstellt. Aus diesen Gründen sind an die Zulässigkeit des Einsatzes von Videokameras am Arbeitsplatz regelmäßig sehr hohe Anforderungen zu stellen. Daher sollte vor Einführung der Videoüberwachung am Arbeitsplatz eine sorgfältige Prüfung der Rechtslage und – wie der vom Arbeitsgericht Hamm entschiedene Fall zeigt – vor allem eine Dokumentation erfolgen, die auch der Darlegungs- und Beweislast vor Gericht standhalten kann.

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