Wien. Ein von einem Beschuldigten genutztes Handy kann durch die Ansammlung persönlicher Daten, wie etwa Text- und Sprachnachrichten, Fotos, Kalendereinträgen und Suchverläufen, zum ultimativen Beweismittel für Strafverfolgungsbehörden werden. Doch wie sieht es mit der rechtlichen Zulässigkeit der Entsperrung eines sichergestellten Handys aus, um an all diese Daten zu kommen?

Physischen Zugriff auf das Mobiltelefon erhalten die Strafverfolgungsbehörden durch die Sicherstellung. Diese setzt eine staatsanwaltschaftliche Anordnung, aber keine richterliche Bewilligung voraus. Bei Gefahr in Verzug kann die Kriminalpolizei sogar aus eigener Macht sicherstellen. Im Gegensatz zur bloßen Sicherstellung von Gegenständen stellt aber die Entsperrung eines verschlüsselten Handys und die damit verbundene Sicherstellung von Daten eine – vom Gesetzgeber bisher nicht ausdrücklich geregelte – rechtliche und technische Herausforderung dar.

Sicherstellung ist zu dulden

Beschuldigte müssen zwar eine Sicherstellung ihres Handys dulden. Sie haben jedoch das Recht zu schweigen und dürfen nicht gezwungen werden, sich selbst zu belasten (Nemo-tenetur-Prinzip). Befindet sich das sichergestellte Mobiltelefon im gesperrten Zustand, sind die Ermittlungsbehörden daher primär auf die freiwillige Mitwirkung des Beschuldigten angewiesen. Ein persönlicher Arbeitseinsatz des Beschuldigten zur Entschlüsselung eines Handys darf staatlicherseits aber nicht erzwungen werden. Aufgrund des Nemotenetur-Prinzips ist der Beschuldigte auch nicht dazu verpflichtet, Passwörter und sonstige Zugangsschlüssel zu verraten.

Ist der Beschuldigte nicht kooperationsbereit, können Strafverfolgungsbehörden bei passwortgesicherten Mobiltelefonen schriftliche Aufzeichnungen über die Zugangscodes (z. B. im Rahmen einer Hausdurchsuchung) sicherstellen. Daneben gibt es technische Verfahren zur Entschlüsselung. Diese sind jedoch kosten- und zeitintensiv und selten von Erfolg gekrönt.

Rechtlich besonders heikel ist die Entschlüsselung von Handys, die mit Fingerabdrucksensoren oder Gesichtserkennung gesichert sind: Weigert sich der Beschuldigte, an der Entsperrung mitzuwirken, könnten die Strafverfolgungsbehörden nämlich auf die Idee kommen, den Finger des Beschuldigten zwangsweise auf den Fingerabdruckscanner zu legen oder den Beschuldigten für eine Gesichts- oder Iriserkennung zu fixieren. Ob diese Formen der Zwangsanwendung zulässig sind, ist bisher nicht höchstgerichtlich geklärt. Im Schrifttum wird dazu unter Verweis auf§111 Abs2der Strafprozessordnung (StPO) vertreten, dass den Beschuldigten eine Duldungspflicht treffe, die den Ermittlungsbehörden die zuvor geschilderte Zwangsanwendung erlaube.

Was regelt nun § 111 Abs 2 StPO? Nach dieser Bestimmung hat jedermann Zugang zu den auf Datenträgern gespeicherten Informationen zu gewähren und auf Verlangen den elektronischen Datenträger in einem allgemein gebräuchlichen Dateiformat auszufolgen oder herstellen zu lassen".

Kein Zwang zur Selbstbelastung

Unseres Erachtens ist die aus § 111 Abs2StPO abgeleitete Pflicht, Zugang zu den auf dem Handy gespeicherten Informationen zu gewähren, in Bezug auf Beschuldigte einschränkend auszulegen. Der StPO wohnt nämlich der Grundgedanke inne, dass Beschuldigte sich durch eine Aussage nicht selbst belasten müssen.

In Zusammenschau mit dem in Art6EMRK und Art 90 Abs 2 B-VG verorteten Nemo-teneturPrinzip ist dieser Grundgedanke auch auf gesetzliche Handlungspflichten des Beschuldigten auszudehnen. Andernfalls wäre der Beschuldigte verpflichtet, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken, was fundamentalen Grundsätzen der StPO und den zuvor genannten grundrechtlichen Garantien widerspräche. Hinzu kommt, dass § 111 Abs2StPO in Bezug auf Beschuldigte bereits jetzt einschränkend ausgelegt wird, weil sie nicht zur Herausgabe von Passwörtern oder Zugangsschlüsseln gezwungen werden dürfen. Auch die Grundrechte auf Privat- und Familienleben (Art8EMRK) und Datenschutz (§ 1 DSG) sprechen für eine einschränkende Interpretation. Ein Rückgriff auf§111 Abs2StPO als Auffangklausel" für die zuvor genannte Zwangsanwendung liefe zudem den Anforderungen an die Vorhersehbarkeit bzw. Bestimmtheit der Eingriffsnorm zuwider.

Eine Rechtsgrundlage, die eine zwangsweise biometrische Entsperrung beim Handy des Beschuldigten erlauben würde, existiert unseres Erachtens daher nicht. Eine gesetzgeberische Klarstellung ist – im engen Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen – notwendig, und zwar nicht nur für die Spezialfrage der biometrischen Entschlüsselung, sondern auch für die Entschlüsselung und die Auswertung sichergestellter Mobiltelefone im Allgemeinen, da die StPO dafür keine zeitgemäße Lösung bietet. Das wird besonders deutlich, wenn man die Sicherstellung eines Mobiltelefons und die damit einhergehende Auswertung mit ähnlich tiefgreifenden Grundrechtseingriffen vergleicht, wie der Durchsuchung von durch das Hausrecht geschützten Orten oder der Beschlagnahme von Briefen. Diese setzen auf formaler Ebene eine gerichtlich bewilligte Anordnung der Staatsanwaltschaft voraus. Die Beschlagnahme von Briefen stellt zudem auf eine bestimmte Strafhöhe ab.

Richter sollte entscheiden

Um den massiven Grundrechtseingriffen einer mit der Sicherstellung von Handys verbundenen Auswertung gerecht zu werden, müsste der Gesetzgeber auch bei der zwangsweisen Entschlüsselung von Handys eine gerichtliche Bewilligung erforderlich machen. Denn es erscheint nicht nachvollziehbar, dass die StPO für zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen eine präventive richterliche Kontrolle vorsieht, beim ultimativen Beweismittel des Smartphones aber nicht. Auf materieller Ebene wäre zudem zu überlegen, auf eine bestimmte Strafhöhe abzustellen.

Auch ein zwischengeschaltetes gerichtliches Sichtungsverfahren könnte die grundrechtlichen Interessen Beschuldigter und unbeteiligter Dritter wahren. Ein solches kennt die Strafprozessordnung schon für Beweismittel, die bei Trägern von Berufsgeheimnissen sichergestellt wurden.  

publiziert: Die Presse Rechtspanorama, Datum:  10. Januar 2022

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