Gastbeitrag 1. Die EZB will Banken künftig einem Stresstest in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung

Wien. Dass die Europäische Zentralbank Kreditinstitute regelmäßigen Stresstests unterzieht, ist bekannt. Neu ist, dass im Rahmen eines ESG-Stresstests" zukünftig auch Nachhaltigkeitsrisiken als neue Risikokategorie berücksichtigt werden sollen. ESG steht für Environment, Social, Governance. Diese Entwicklung zeichnete sich schon lang ab. Erst 2020 veröffentlichte die österreichische Finanzmarktaufsichtsbehörde einen Leitfaden, wie Finanzdienstleister mit Nachhaltigkeitsrisiken umzugehen haben. Nationale und europäische Aufsichtsbehörden überschlagen sich am ohnehin sehr dicht regulierten Kapitalmarkt förmlich mit neuen Gesetzen, Verordnungen und Rundschreiben zum Nachhaltigkeitsrecht.

Offensichtliche Risken

Dabei treffen Nachhaltigkeitsrisiken nicht nur Unternehmen aus dem Kapitalmarktbereich, sondern sind auch sonst allgegenwärtig. Die offensichtlichsten und am meisten diskutierten Risiken bestehen im Bereich Umwelt (E"). Naturkatastrophen wirken einerseits unmittelbar physisch auf ein Unternehmen, zum Beispiel durch die Zerstörung von Landwirtschaftsflächen, Produktionsstätten oder Warenlagern. Das Unternehmen erleidet einen Schaden, kann Kredite nicht mehr zurückzahlen, Versicherungen müssen einspringen. Andererseits können sich diese unmittelbaren Auswirkungen auch mittelbar auf alle in der Lieferkette folgenden Unternehmen und deren Vertragspartner übertragen

Aber auch nicht produzierende Unternehmen können unmittelbar von Umweltrisiken betroffen sein: Die physischen Risiken des Klimawandels wirken sich praktisch auf alle Branchen aus, vom Immobilien- über den Gesundheitssektor bis zu Tourismus, Infrastruktur und Energie. Ebenso sind viele Unternehmen von Transitionsrisiken betroffen, die durch den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft entstehen. So wird die geplante Einführung einer CO2-Steuer besonders jene treffen, die noch stark auf fossile Brennstoffe setzen. Nachhaltigkeitsrisiken bestehen aber auch darin, dass bestimmte als klimaschädlich angesehene Unternehmen in absehbarer Zeit vom Markt verschwinden werden oder zumindest einen erheblichen Umsatzrückgang fürchten müssen (z. B. Erzeuger von Verbrennungsmotoren), wenn sie ihr Geschäftsmodell nicht anpassen.

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Wer grün" nur verspricht, aber nicht liefert, droht öffentlich dem Vorwurf des Greenwashings ausgesetzt zu werden.

Reputationsschäden drohen

Weniger offensichtlich sind die Risiken in den Bereichen Soziales (S") und Unternehmensführung (G"): So wird in vielen Ausschreibungen die Einhaltung bestimmter sozialer Standards verlangt – wer nicht entspricht, bekommt MalusPunkte oder fällt ganz aus dem Verfahren. Auch Verbraucher orientieren sich immer häufiger daran, ob Unternehmen ihre soziale Verantwortung wahrnehmen. Ein durch soziale Sorglosigkeit" verursachter Reputationsschaden überträgt sich rasch in handfeste wirtschaftliche Nachteile. Es ist wohl nur mehr eine Frage der Zeit, bis ganze Branchen ihre Lieferketten daraufhin untersuchen, ob ihre Vertragspartner soziale Mindeststandards einhalten und das eigene Unternehmen entsprechend verantwortungsvoll führen.

Abhängig von der Branche ist der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens also bereits jetzt mehr oder weniger daran geknüpft, wie es mit Nachhaltigkeitsrisiken umgeht. Diese zu ignorieren, kann wirtschaftlich katastrophale Folgen haben. Rechtlich kann deshalb die Pflicht bestehen, Nachhaltigkeitsrisiken in ein sorgfältiges Risikomanagements einzubeziehen. § 22 GmbHG und § 82 AktG verlangen ein internes Kontrollsystem, das den Anforderungen des Unternehmens entsprechen muss. Nach § 70 AktG muss der Vorstand die Gesellschaft zudem unter Berücksichtigung des Unternehmenswohls, der Interessen der Aktionäre und Arbeitnehmer sowie des öffentlichen Interesses" leiten. Darunter wurde schon bisher eine Pflicht zur Einrichtung eines angemessenen, effektiven und effizienten Risikomanagements verstanden. Da sich Nachhaltigkeitsrisiken jetzt schon (oder zumindest absehbar) unmittelbar auf das eigene Unternehmen auswirken oder die Auswirkungen aufgrund der Verflechtung mit Unternehmen anderer Branchen zumindest mittelbar gegeben sind, ist daher im Rahmen eines sorgfältigen Risikomanagements zu prüfen, ob und wie sich diese Risiken auswirken und minimiert werden können. Vor Nachhaltigkeitsrisiken als neuer und besonders aggressiver Art von Risiken die Augen zu verschließen, ist wohl in keinem Fall mehr eine Option.

Chance für Werbung

Die gute Nachricht: Die neuen Risiken bergen zwangsläufig auch neue Chancen. Einem Unternehmen, das zur Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts verpflichtet ist, kann ein solcher ernsthaft erstellter Bericht auch als Werbemaßnahme dienen. Ein Finanzmarktteilnehmer, der nach der neuen EU-Offenlegungs-Verordnung jedem Anleger Informationen über Nachhaltigkeitsaspekte seiner Finanzprodukte geben muss, kann das als Anlass nehmen, dem Anleger transparent und ehrlich zu vermitteln, welche Begriffsverständnisse von Nachhaltigkeit es am Kapitalmarkt gibt, und gemeinsam mit dem Anleger das geeignetste Produkt suchen und letztlich auch davon profitieren (während ein Marktteilnehmer, der grün" verspricht, aber nicht liefert, der Gefahr von Greenwashing-Vorwürfen und Wettbewerbsklagen ausgesetzt ist). Und wer glaubhaft nachweisen kann, dass er seine Verpflichtung zum nachhaltigen

Wirtschaften ernst nimmt, erleichtert auch im B2B-Bereich dem Vertragspartner, sich für ein bestimmtes Produkt zu entscheiden und diese Entscheidung intern zu vertreten und zu dokumentieren

Die konkreten Chancen und Risiken hängen maßgeblich von der Art der Geschäftstätigkeit ab. Den Überblick zu bewahren ist aber schwierig. Das Nachhaltigkeitsrecht erhält vom europäischen und vom nationalen Gesetzgeber gerade erst seine Konturen. Noch ist es zersplittert in viele Einzelgesetze, Verordnungen, technische Standards und Novellen. Der Gesetzgeber ist deshalb gefordert, mehr auf ein möglichst systematisch stimmiges Regelwerk zu achten. Die derzeit fehlenden Zusammenhänge zwischen den vielen einzelnen Vorgaben, die sich teilweise widersprechen, machen es für Unternehmer schwierig, eigenständig auf den ersten (oder auch nur zweiten) Blick zu erfassen, mit welchen Anforderungen sie konfrontiert sind. Noch schwieriger ist es, in diesem rasant wachsenden Rechtsbereich die künftigen Anforderungen abschätzen und sich darauf vorbereiten zu können.

Klassische Querschnittsmaterie

Jedes Unternehmen muss zuerst klären, welche Vorschriften im konkreten Fall überhaupt anwendbar sind. Einerseits ist Nachhaltigkeitsrecht eine klassische Querschnittsmaterie und betrifft viele Rechtsbereiche sowie innerhalb eines Unternehmens üblicherweise verschiedene Abteilungen. So ist Greenwashing ein Thema, das alle Branchen betrifft. Andererseits gibt es auch industriespezifische Regelungen (bereits relativ umfassend z. B. für Finanzdienstleister).

Nachhaltigkeitsrecht ist ein junges Rechtsgebiet. Häufig gibt es entweder noch keinen definierten Rechtsrahmen, oder dieser entwickelt sich erst im Entwurfsstadium. Die kommenden Regelungen sollten bei der Umsetzung vorausschauend berücksichtigt werden, um baldigen Nachbesserungsbedarf möglichst zu vermeiden.

Chancen öffnen sich für Unternehmen, die eine Vorreiterrolle einnehmen: etwa durch Implementierung noch gar nicht in Kraft stehender Regelungen oder Übererfüllung der Voraussetzungen. Bei der Vermarktung ist aber stets darauf zu achten, dass man die Versprechen auch erfüllen kann.

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